Die ursprünglichste Form der Fotografie - die Pinholefotografie

Am Schiederweiher bei -15°C: Mein Handy hat schon längst den Geist aufgegeben und sich aufgrund der Kälte von selbst ausgeschaltet. Eine 10x10x10 cm große Schachtel auf einem Stativ nimmt währenddessen durch ein kleines, kaum sichtbares Akupunkturloch Fotografien auf. Im Inneren der Lochkamera ist ein lichtempfindlicher Mittelformat-Film, in den sich das Licht verewigt, wenn ich die Abdeckung vor dem Akupunkturloch für wenige Sekunden entferne.

Die ursprünglichste Form der Fotografie und die ursprünglichste Form eines selbst: das Ergebnis ist einem zunächst unbekannt. Kein Sucher, durch den man die Komposition sehen könnte, nicht wissend, ob die Aufnahme eventuell verwackelt, über- oder unterbelichtet ist oder ob die Kamera überhaupt funktioniert und die Schachtel keine Lichtlöcher hat und der Film dadurch sowieso kaputt wäre.

Man schätzt die Belichtungszeiten und hofft. Hofft auf ein Ergebnis – die große Überraschung beim Entwickeln. Im Leben gibt es auch keine Vorschau, wie bei modernen Systemkameras: Bevor man etwas tut, kann man sich das Ergebnis davon noch nicht im Vorhinein ansehen – andererseits würde man dies als Hellsichtigkeit bezeichnen. Auch so kommt es einem beim Pinholefotografieren vor, man macht etwas und bleibt im Unklaren, was dabei herauskommt. Umso größer ist die Freude, wenn die Fotografien beim Entwickeln zum Vorschein kommen. Die Pinhole-Metapher fürs Leben: Mehr im Moment leben, das Ungewisse akzeptieren – nein, sogar genießen. Es ist schön, nicht immer alles Vorauszuahnen, Durchzuspekulieren, Worst-Case-Szenarien auszumalen (wie auch immer man es nennen will) – einfach mal machen, und was danach kommt, kommt sowieso danach auf einen zu, wie es auf einen zukommen soll.

Zurück zur Technik: Die Brennweite der Abbildungen ergibt sich durch den Abstand des Filmes innerhalb der Schachtel bis zum Loch (der fixen Blende). Die fixierte Blende in der Lochkamera ist verhältnismäßig weit zu, weshalb man auch lange belichten muss und einen Film verwenden soll, der eine höhere Lichtempfindlichkeit hat. Ein einzigartiger Fotolook, der sich mit einer modernen Kamera nicht nachahmen lässt und ursprünglicher und besonderer nicht sein könnte. Das analoge Fotografieren verlangsamt einen und kurbelt gleichzeitig die Kreativität wieder mehr an. In einer Zeit, in der alles schnelllebig ist, ist dies das absolute Kontrastprogramm zum schnellen Handyfoto und direkten Teilen auf den sozialen Medien: “Heute am Schiederweiher :) #traumtagerl #schiederweiher #natur #austria”.

Nach einiger Zeit in der Dunkelkammer kommt man mit kleinen Augen, einem breiten Lächeln und den Fotos in der Hand heraus und schreibt ganz stolz mit einem Permanentmarker auf die Rückseite der Fotografien:

“12.01.2024, Schiederweiher, -15°C, Sophie Gattermair, offline und im Moment.”

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